„Jude“ als Schimpfwort

Fachliche Einführung

Warum gerade Schimpfwörter zum Thema machen?
Schimpfwörter sind in der Lebenswelt von Jugendlichen, aber auch von Erwachsenen allgegenwärtig. Sie erfüllen ganz allgemein gesehen durchaus verständliche Funktionen. Sie drücken Unmut aus, verbalisieren Wut, sind Teil von Verteidigungsstrategien gegen andere und werden auch als Provokation verwendet. Außerdem sind sie Teil der Jugendkommunikation und gelten als hip und cool, wobei sie meist unreflektiert geäußert werden. Mit der Thematisierung im Unterricht kann man also direkt an die Lebenswelt der Jugendlichen anknüpfen. Durch eine Diskussion über inakzeptable Schimpfwörter kann der Blick der Teilnehmer und Teilnehmerinnen auf den diskriminierenden Inhalt gelenkt werden, der vorher meist nicht erkannt wurde.

Zu den problematischen Schimpfwörtern gehören unter anderem solche, die bestimmte Ethnien abwerten oder auch bestimmte Gruppen von Menschen herabsetzen und damit Ungleichwertigkeitsvorstellungen1 postulieren. Einfach gesagt: Mit der Verwendung dieser Schimpfwörter geht die Annahme einher, dass es Menschen gäbe, die weniger wert als andere seien. Im Modul sollen daher diskriminierende, antisemitische, rassistische und chauvinistische Schimpfwörter behandelt werden.
Ein direktes Thematisieren von Antisemitismus kann nach unterschiedlichen Erfahrungen von PädagogInnen/MultiplikatorInnen unterschiedliche Probleme und Abwehrhaltungen mit sich bringen. Durch das hier gewählte Thema kann ohne das direkte Ansprechen von Antisemitismus ein Bewusstsein für antisemitische oder andere diskriminierende Äußerungen geschaffen werden, ohne dass Antisemitismuskritik den Unterricht als Leitlinie überschreibt. In der Diskussion sollte vor allem nachgefragt werden:

Was macht dieses Wort zu einem inakzeptablen Schimpfwort?

Wichtiger Hinweis:
Dieses Modul sollten Sie nur dann verwenden, wenn Jude als Schimpfwort auch schon im Vorfeld von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen benutzt wurde und es in deren Alltag eine Rolle spielt. Ist dies nicht der Fall, nutzen Sie dieses Modul nicht zur antisemitismuskritischen Arbeit, da Sie nicht unnötig Schimpfwörter einführen sollten, die vorher noch nicht bekannt waren.
Trotzdem kann in diesem Fall das Modul für die Bearbeitung von Schimpfwörtern mit anderen diskriminierenden Inhalten genutzt werden.

Ziele:

  • Der Blick der Teilnehmenden wird für problematische Schimpfwörter geschärft, wodurch es ihnen möglich ist, deren Verwendung zu hinterfragen.
  • Die Teilnehmenden sind befähigt, über den Bedeutungsinhalt von Schimpfwörtern zu reflektieren. Sie erkennen Vorurteile in Bezug auf bestimmte Gruppen von Menschen und nehmen damit einhergehende Widersprüche wahr.
  • Die Teilnehmenden erkennen, dass die gefundenen Zuschreibungen und Assoziationen, die mit dem entsprechenden Schimpfwort ausgedrückt werden, nicht gruppencharakteristisch sind, sondern vielmehr individuelle Eigenschaften beschreiben. Sie nehmen eine individualisierende und differenzierende Sichtweise ein und erkennen (antisemitische) Gruppenkonstruktionen.
AblaufMethodeMaterialZeitumfang
Sammeln und VisualisierenBrainstorming– Karten, Stifte
– Tafel/Whiteboard
15 Minuten
AuswertungsdiskussionGruppendiskussionca. 30 Minuten
Zuordnung als ErgebnissicherungGruppendiskussion15 Minuten

Wichtiger Hinweis: Den Teilnehmenden ist Jude als Schimpfwort geläufig und in ihrem Umfeld wird das Wort als solches verwendet, trotzdem wird es in der Aufzählung nicht genannt.
Auch Sie als Pädagogin/Pädagoge haben die Möglichkeit, ein Schimpfwort zu nennen und in die Tabelle aufzunehmen.

Ablauf:

1) Zum Einstieg thematisieren Sie Schimpfwörter ganz allgemein. Fragen Sie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen, aus welchen Gründen und in welchen Situationen man Schimpfwörter verwendet (siehe dazu Entscheidungshilfe). Im Anschluss sollen bekannte Schimpfwörter genannt werden, die dann von der Pädagogin oder dem Pädagogen in eine vorbereitete mehrspaltige Tabelle (siehe unten) eingeordnet werden, wobei auch Doppeleintragungen möglich sind. Die Tabelle bleibt bei der Schimpfwörternennung vorerst ohne ausgefüllte Tabellenköpfe. Die Teilnehmenden sollen dann entsprechend der von Ihnen vorgenommenen Zuordnung die Tabellenköpfe ergänzen und damit zutreffende Kategorien von Schimpfwörtern finden.

Beispieltabelle:

(Die Tabelle kann entsprechend den genannten Schimpfwörtern verändert werden.)

Alternative: Je nach Gruppenkonstellation können die Teilnehmer und Teilnehmerinnen das Sammeln und Zuordnen der Schimpfwörter auch in Einzel- oder Gruppenarbeit mithilfe eines Arbeitsblattes vornehmen.

15 Minuten

2) Im Anschluss wird offen diskutiert. Dabei führen Sie die Diskussion und steuern die Redebeiträge.

  • Fragen Sie zuerst nach Assoziationen, die mit dem Schimpfwort verbunden werden.
    Was sagt dieses Schimpfwort aus bzw. welche beleidigenden Inhalte werden transportiert? An den eigenen Ausgrenzungserfahrungen der Teilnehmenden kann die Stigmatisierung und Diskriminierung bei der Verwendung von Schimpfwörtern verdeutlicht werden. Damit rückt die Position der Betroffenen in den Fokus. Wie habt ihr euch gefühlt, als ihr aufgrund eurer Herkunft oder Ähnlichem beleidigt wurdet, und wie fühlen sich demnach die anderen?

    Dekonstruieren Sie eventuell vorhandene Vorurteile und Zuschreibungen, indem Sie universalistisch argumentieren und Bezüge zur Alltagspraxis der Kinder und Jugendlichen herstellen (siehe Tabelle).

Hilfe zur Diskussionsleitung
– Versuchen Sie in der Diskussion eine gewisse Widerspruchstoleranz zu entwickeln. Dabei gilt es, nicht moralisierend und konfrontativ auf die Teilnehmer und Teilnehmerinnen einzuwirken. Dies heißt auch, Ihnen zuwiderlaufende Äußerungen wie Vorurteile und verallgemeinernde Zuschreibungen auf unterschiedliche Gruppen von Menschen hinzunehmen und diese durch geschicktes Nachfragen zu irritieren. Vermeiden Sie es, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen als Antisemiten zu bezeichnen. Ein vorschnelles Etikettieren kann eine starke Abwehrreaktion hervorrufen, bis hin zur Diskussionsverweigerung. Daher wäre es besser, beispielsweise auf Gegenstimmen anderer zu warten. Seien Sie deshalb vorsichtig bei schnellen Negativzuschreibungen, fragen Sie noch einmal genau nach, wie das Gesagte gemeint war (aktives Zuhören). Gehen Sie mit Ihrer eigenen Meinung zurückhaltend um. Als Kommunikationshilfen empfehlen wir vorzugsweise die Formulierung von Ich-Botschaften anstatt von Du-Botschaften, um schwierige Gesprächssituationen zu entschärfen.
– Es kann vorkommen, dass sich die Diskussion im Kreis dreht. Lenken Sie an dieser Stelle ein und unterbrechen Sie, indem Sie beispielsweise andere Aspekte einbringen. Redebeiträge sollten von Ihnen gesteuert werden, damit möglichst viele zu Wort kommen und nicht ein Streitgespräch etwa unter nur zwei Beteiligten überwiegt.
– Behalten Sie immer das Ziel der Diskussion im Auge und achten Sie auf ein gutes Zeitmanagement.

  • Versuchen Sie den Blick auch darauf zu lenken, wie der Absender des Schimpfwortes auf andere wirkt.

Beispiel: Was sage ich über mich aus, wenn ich dieses Schimpfwort verwende?

  • Die übergeordnete Frage nach diskriminierenden, antisemitischen, rassistischen und chauvinistischen Bedeutungen und deren Unannehmbarkeit sollte im Blick behalten werden.

Beispiel: Was macht das Schimpfwort „du Jude“ zu einem inakzeptablen Schimpfwort?

30 Minuten

Methoden zur Dekonstruktion

Assoziationen, Zuschreibungen,
Beispiele
– Argumentation auf Metaebene
– universalisierendes Fragen
Transfer auf Alltagsbezüge und persönliche VorstellungenKontroverse oder lustige Thesen/Beispiele zur Diskussion stellen
"Juden = gierig""Ist das Streben nach Wohlstand und damit Gier nicht allen Menschen eigen?""Gab es Situationen, in denen ihr gierig wart?"
– mit konkreten Alltagsbeispielen untermauern, zum Beispiel Drang nach der neuesten/teuersten Technik (Computer, Handy usw.)
"Kann sich jeder hier freisprechen von Gier?"
"Juden = Opfer = Verlierer, Synonym für schwach, uncool"

"„Juden = Holocaustopfer"
Ist Schwäche etwas absolut Schlechtes?
Vielleicht liegt in dem Zeigen von Schwäche gerade die Stärke einer Person gegenüber dem, der seine Schwächen nicht eingestehen will.

"Sind alle Deutschen Nazis?"
"In welchen Situationen habt ihr Schwäche gezeigt/wart ihr Verlierer?"
"Seid ihr dadurch schlechtere Menschen?"
"Kann es sein, dass damit der schlechte Versuch einhergeht, die eigenen Schwächen zu kompensieren?"

"Sollte einem Opfer nicht Empathie entgegengebracht werden?"
"Juden = reich, haben Geld, sind Bankiers""Hat der Besitz von Geld etwas mit der Religion oder Ethnie zu tun?""Alle Schweizer sind reich!"
Beispiel: Joseph Ackermann ist reich/Banker.
"Juden/Israelis = Kriegstreiber/Kindermörder""Waren alle Deutschen für den Krieg in Afghanistan?"
"Befürworten alle Deutschen, auch die, die im Ausland leben, die deutsche Politik?"
"Stimmt der Ruf der Klasse oder der Ruf eines Stadtteils mit dem Einzelnen überein?""„Alle Gorbitzer sind Assis?"

🙂
"Polen = klauen Auto""Gibt es Grenzkriminalität auch an anderen Grenzen?"
Beispiel: Wirtschaftskriminalität im Bereich der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz
"Würden mir alle zustimmen, wenn ich sage: Alle, die Autos klauen, sind Polen!"

🙂

Alternative: Offene Diskussionen bergen Schwierigkeiten bei großen Gruppen oder wenn die Teilnehmenden die wesentlichen Diskussionsregeln noch nicht kennen.
Je nach Gruppenart können Sie die Diskussion nur auf Schimpfwörter der ersten Spalte (Kategorie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) eingrenzen oder Vergleiche der unterschiedlichen Schimpfwortkategorien in die Gruppendiskussion miteinbeziehen.

Sie können auch alternativ die halboffene Diskussionsform wählen und eine Diskussion über „Schubladendenken“ anregen. Dazu wird das Schimpfwort „du Jude“ und ein weiteres auf einen Zettel geschrieben und der Reihe nach weitergegeben. Nacheinander sagt jeder Diskussionsteilnehmer und jede Diskussionsteilnehmerin ihre/seine Meinung, beginnend mit:
Beispiel: „Mit dem Schimpfwort du Jude/Polacke wird ausgesagt, dass …“
Hier werden spontan Assoziationen gesammelt und im Anschluss diskutiert.
Der Vorteil bei dieser Variante ist, dass jeder zu Wort kommt, ohne das sofort eine hitzige Diskussion aufkommt.

3) Ergebnissicherung
Abschließend sollten die Ergebnisse der Diskussion festgehalten werden. Dabei ist hervorzuheben, dass genannte Assoziationen und Zuschreibungen auf unterschiedliche Individuen zutreffen und diese nicht im Zusammenhang mit ihrer vermeintlichen Gruppenzugehörigkeit stehen. Zur Visualisierung kann auch schon während der Diskussion ein Schaubild/eine Rangliste (siehe unten) angefertigt und laufend ergänzt werden. Die entsprechenden Zuordnungen sollten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eigenständig vornehmen.

Weiter gedacht kann aus dieser von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen aufgestellten Liste auch ein allgemeiner Verhaltenskatalog bzw. ein Leitbild für den erwünschten Umgang miteinander erstellt werden.

Beispiel: Schaubild/Rangliste

15 Minuten

Literatur und weiterführende Links:

1Vgl. Zick, Andreas u. a.: Die Abwertung der Anderen: eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Eine Analyse im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Projekt „Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus“. Berlin, 2011, S. 42 ff.