Israelkritik – Darf man das? Eine Handreichung zu israelbezogenem Antisemitismus

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist vermutlich einer der präsentesten Konflikte in der deutschen Medienlandschaft und damit auch häufig Teil politischer Diskussionen von Erwachsenen, aber auch Jugendlichen. Nur selten wird man jemanden finden, der keine Meinung zu diesem Konflikt hat. Die Komplexität und lange Dauer des Konflikts sowie die häufig tendenziöse Berichterstattung in Medien und Internet machen es außerdem relativ schwer, einen objektiven Blick zu wahren und die Übersicht über alle Zusammenhänge, Entwicklungen und Hintergründe zu behalten.

Unter die Kritik am israelischen Staat in Medien und Politik mischen sich zudem häufig antisemitische Inhalte, deren Äußerung ebenfalls oft Debatten in Medien und Politik nach sich zieht. Offener Antisemitismus wird in unserer Demokratie entweder von gesetzlicher oder von gesellschaftlicher Seite sanktioniert. Daher gibt es immer wieder den Versuch, ihn über eine Umwegkommunikation in Diskussionen hineinzutragen. Dafür werden neben der „Schlussstrichdiskussion“ vor allem oft der Nahostkonflikt und die sogenannte „Israelkritik“ genutzt.

Gerade in pädagogischen Kontexten herrscht daher oft auch eine Unsicherheit, inwieweit man den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern thematisieren sollte und welche Aussagen zu oder Kritikpunkte an Israel legitim sind. Die Angst, unbewusst antisemitische Stereotype und Bilder zu bedienen oder zu verbreiten, schreckt Pädagoginnen und Pädagogen immer wieder ab, sich im Unterricht mit dem Thema Nahost auseinanderzusetzen. Gleichzeitig ist es gerade im pädagogischen Raum wichtig, antisemitische Äußerungen nicht unwidersprochen zu lassen bzw. sich zum Nahostkonflikt – wenn die Diskussion über ihn Teil der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ist – auch äußern zu können.

Was ist problematisch an einem Begriff wie „Israelkritik“ oder an Aussagen wie „Israel führe einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ oder „Israel mache mit den Palästinensern dasselbe wie die Nazis im Zweiten Weltkrieg mit den Juden“? Wie kann man gerechtfertigte Kritik von tendenziös antisemitischen Aussagen unterscheiden?

Diese Handreichung soll Ihnen einige Kriterien zur Orientierung bei diesen Fragen zur Verfügung stellen und Sie in Diskussionen zu den Themen Nahostkonflikt und Israel stärken. Sie sollen dadurch befähigt werden, auch im pädagogischen Kontext sicher handeln zu können und israelbezogenen Antisemitismus leichter zu erkennen.

1. Definitionen
Antisemitismus
ist eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die sich gegen jüdische Personen und Personengruppen, die als jüdisch definiert werden, richtet. Diese werden dabei diskriminiert und systematisch ausgegrenzt, mit dem Ziel, die Eigengruppe bei gleichzeitiger Abwertung von empfundenen Fremdgruppen aufzuwerten. Hierfür werden Chiffren, Codes und Verschwörungstheorien herangezogen, die welterklärenden Charakter haben und somit das Gefühl erzeugen, einer elitären, wissenden Schicht anzugehören. Bei all seinen Erscheinungsmustern bietet der Antisemitismus in letzter Instanz nie gewaltfreie Lösungsansätze.
Der Zionismus (hebr.) war im 19. Jahrhundert eine politische bzw. religiöse Strömung innerhalb des europäischen Judentums, deren Ziel die Errichtung eines eigenen jüdischen Staates war. Dies resultierte aus dem zunehmenden Antisemitismus der Gesellschaft und der Erkenntnis, dass auch die Emanzipation der Juden daran nicht viel ändern wird. 1897 kam es zum 1. Zionistischen Weltkongress mit dem Präsidenten Theodor Herzl (1860–1904). Anfang des 20. Jahrhunderts folgten erste größere Einreisewellen nach Palästina.

Häufige antisemitische Muster und Elemente der „Israelkritik“:

  1. Juden werden als Kollektivtäter dargestellt.
    Die Kritik orientiert sich nicht am Staat Israel, sondern umfasst alle Juden weltweit. Die Begriffe „Israelis“ und „Juden“ werden als Synonyme verwendet und nicht klar voneinander getrennt. Es wird nicht beachtet, dass über die Politik des Staates Israel sowohl innerhalb der israelischen Bevölkerung als auch unter den Juden weltweit harte Auseinandersetzungen geführt werden.
  1. Es werden verschiedene Maßstäbe angelegt.
    Das Handeln Israels wird mit zweierlei Maß gemessen. Dabei gilt es sich zu fragen, ob ähnliche politische Handlungen anderer Staaten auch eine vergleichbare Kritik erfahren. Militärische und politische Aktionen Israels werden im Vergleich zu ähnlichen Aktionen anderer Staaten als bedeutender gewertet und es werden höhere moralische und ethische Maßstäbe an den Staat Israel angelegt als an andere demokratische Staaten.
    Die extremste Form ist dabei die Leugnung des Existenzrechts Israels. Bei keinem anderen Staat führt die Kritik am politischen und militärischen Verhalten so häufig zur Aberkennung der Daseinsberechtigung des Staates.
  1. Es kommt zu einer Täter-Opfer-Umkehr.
    Dieser Fall liegt vor, wenn zum Nahostkonflikt Vergleiche mit dem nationalsozialistischen Deutschland hergestellt werden. Dabei wird meist das Verhalten des Staates Israel gegenüber den Palästinensern mit der Vernichtung der Juden in Europa gleichgestellt. Wortschöpfungen wie „Endlösung des Palästinenserproblems“ oder „israelischer Vernichtungskrieg“ beschreiben nicht etwa israelisches Vorgehen, sondern übertragen deutsche Geschichte auf die Gebiete des Nahen Ostens. Häufig erfüllen diese Argumentationen außerdem die Funktion der Schuldabwehr. Indem die Opfer von „damals“ zu Tätern „von heute“ stilisiert werden, soll die eigene (empfundene) Schuld relativiert werden.
  1. Althergebrachte judenfeindliche Stereotype werden erneut genutzt.
    Auch heute noch teilt verschiedenen Umfragen zufolge ein beachtlicher Anteil der deutschen Bevölkerung antisemitische Ansichten. Auch im Zusammenhang mit „Israelkritik“ werden häufig althergebrachte Vorurteile wiedergegeben. Beispiele hierfür sind die Vorstellung, Juden würden sich einem auserwählten Volk zugehörig fühlen und sich daher über andere „Völker“ stellen, oder die Bezeichnung Israels als „Kindermörder“, was Bezüge zur mittelalterlichen Ritualmordlegende herstellt.

Ergänzend zu den oben genannten Punkten hilft der 3D-Test des israelischen Autors Nathan Sharansky, um tendenziell antisemitische Israelkritik zu erkennen. Die drei Ds stehen dabei für die Begriffe Dämonisierung, Doppelstandard und Delegitimierung.

3D-Test
Dämonisierung:
Ein häufiges Beispiel für diese Art der Argumentation ist der Vergleich der israelischen Regierung mit der des Nationalsozialismus und die Gleichsetzung der palästinensischen Flüchtlingslager mit Konzentrationslagern wie Auschwitz. Dabei wird oftmals nicht zwischen Juden und Israelis oder der israelischen Regierung und der alles andere als homogenen Landesbevölkerung unterschieden.
Doppelstandard: Israel ist im Nahen Osten die einzige funktionierende Demokratie und symbolisiert somit viele westliche, uns wichtige Werte. Und doch sieht sich das Land ständig in der Beweispflicht, da an seine Politik andere Maßstäbe als an andere Länder angelegt werden. So werden Menschenrechtsverletzungen in den nicht demokratischen Nachbarstaaten unkommentiert gelassen, während sie der israelischen Regierung vorgeworfen werden. Dies trifft beispielsweise zu, wenn Israel durch die Vereinten Nationen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen gerügt wird, jedoch Länder wie China, Saudi-Arabien und auch Syrien, bei denen der Missbrauch ohne Zweifel feststeht, ungerügt bleiben.
Delegitimierung: Hat man in der Vergangenheit versucht, die jüdische Religion oder auch die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk zu negieren, so versucht man heute, Israel das Existenzrecht abzuerkennen. Dafür wird behauptet, Israel sei das letzte Überbleibsel des europäischen Kolonialismus.

Weiterführende Literatur und Links
Informationen zu Israel

  • Dachs, Gisela: Israel kurz gefasst. – Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2016
  • Dachs, Gisela (Hrsg.): Länderbericht Israel. – Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2016
  • Hagemann, Steffen: Israel. – Schwalbach: Wochenschau Verlag, 2013. (Analyse politischer Systeme ; 4)
  • Sznaider, Natan: Gesellschaften in Israel : eine Einführung in zehn Bildern. – Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2019

Zum pädagogischen Umgang mit Antisemitismus