Fachliche Einführung
Was ist antisemitische Medienkritik?
Mit dem Aufkommen von PEGIDA im Herbst 2014 kehrte der Kampfbegriff der Lügenpresse in die politische Alltagssprache zurück. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er noch vorrangig von katholischen Konservativen als Polemik gegen die entstehende liberal-bürgerliche Presse verwendet. Mit dem Erstarken des modernen Antisemitismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Durchsetzung der Idee einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung als universellem Verschwörungsmythos erhielt der Begriff zunehmend eine antisemitische Konnotation. Seit dieser Zeit verbirgt sich hinter dem Vorwurf der Lügenpresse die Vorstellung, Presseerzeugnisse, die nicht die eigene Meinung oder die eigene Deutung von Ereignissen wiedergeben, würden von dunklen Mächten kontrolliert, um das „Volk“ zu manipulieren und von geheimen Machenschaften abzulenken. Diese dunklen Mächte werden dabei nicht immer klar als Jüdinnen und Juden benannt, sondern mitunter durch antisemitische Stereotype wie den Vorwurf des Kosmopolitismus oder das Bild des weltumspannenden Kraken codiert.
Verschwörungsideologische bis offen antisemitische Medienkritik lässt sich als ein Ausdruck der Überforderung mit modernen gesellschaftlichen Verhältnissen und als Versuch der Komplexitätsreduzierung deuten. Die Aufgabe der Medien in modernen Demokratien ist es, aus der unübersichtlichen Fülle an Informationen und Perspektiven eine möglichst adäquate Auswahl zu treffen und verständlich aufzubereiten, um den einzelnen Menschen eine autonome Meinungsbildung und Orientierung für das eigene Handeln zu ermöglichen. Medien gelten daher als „vierte Macht“, mit der Aufgabe, eine Kontrollfunktion gegenüber Legislative, Judikative und Exekutive einzunehmen. In einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft sollen sie sachlich über Ereignisse berichten und gleichzeitig durch eigene Positionierung an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken.
Ziele:
- Die Teilnehmenden setzen sich kritisch mit der Komplexität des Mediengeschäfts auseinander.
- Die Teilnehmenden reflektieren die Fülle an Informationen und Nachrichten, aus der Redaktionen auswählen müssen.
- Die Teilnehmenden nehmen eine differenzierende Sichtweise auf Medien und ihre Funktionen ein.
- Die Teilnehmenden reflektieren den Einfluss ihrer eigenen Nachfrage auf Auswahl und Angebot von Nachrichten.
Ablauf | Methode | Material | Zeitumfang |
---|---|---|---|
Planspiel Zeitungsredaktion | Spiel/Rollenspiel Gruppenarbeit | – Vorgefertigte Meldungen – Profilkärtchen/Zielpunkte der Zeitungen – A3-Blätter; Leim o. Ä. | ca. 30 Minuten + 5–10 Minuten Auswertung |
Auswertungsdiskussion | Fragend-entwickelnde Methode Reflexion | eventuell Tafel/Whiteboard zum Sammeln der Ergebnisse | ca. 20 Minuten |
Ablauf:
1) Erklären Sie zunächst allen Teilnehmenden Regeln, Ablauf und Punktwertung des Spiels (genaue Angaben zu Regeln und Punktwertung finden Sie im Anhang).
Die Teilnehmenden sollen in einem Planspiel die Arbeitsweise einer Zeitungsredaktion nachempfinden. Ziel des Spiels ist es, die meisten Punkte für die ausgewählten Nachrichten zu bekommen. Diese Punkte entsprechen einem festgesetzten „Nachrichtenwert“ (orientiert an kultureller oder geographischer Nähe und Tragweite des Ereignisses). Dieser Wert ist bei den Nachrichten offen angegeben. Modifiziert wird dieser Punktewert einmal durch die Platzierung auf der jeweiligen Nachrichtenseite (siehe unten) und einmal durch das Profil der Zeitung (siehe unten). Die zweite Modifikation ist nicht offen, sondern wird erst am Schluss berechnet.
Die Teilnehmenden werden in mehrere Gruppen (optimal drei) eingeteilt oder wählen selbst eine Gruppe, die jeweils die „Redaktion“ einer Zeitung bildet. Die drei Zeitungen haben unterschiedliche „Profile“ (Boulevardzeitung; politisches Magazin; regionale Tageszeitung). Weisen Sie die Teilnehmenden darauf hin, dass das Profil später bei der Punktevergabe eine wichtige Rolle spielen wird.
Die einzelnen Gruppen bestimmen (entweder beruhend auf Freiwilligkeit oder per Wahl) einen „Chefredakteur“. Dieser bekommt einen Umschlag/Zettel mit Hinweisen zum Profil der Zeitung (also zum Beispiel: „Eure Kunden interessieren sich vor allem für regionale Themen. Achte darauf, dass vor allem solche Themen Platz in der Zeitung finden.“). Diese Angaben sollen die Vorgaben des Herausgebers bzw. die Anforderungen der Kunden an die Zeitung simulieren und sind die einzigen Hinweise darauf, wie die Punkte durch das Profil modifiziert werden.
Dann startet die Zeit und die Redaktionen bekommen vorgefertigte Zeitungsmeldungen zur Gestaltung der Zeitung. Die Redaktionen müssen nun entscheiden, welche der Meldungen sie wo platzieren. Wenn sich eine Redaktion nicht einigen kann, entscheidet der Chefredakteur. Dabei haben die verschiedenen Plätze der Zeitung unterschiedliche Multiplikatoren für die Punktzahl der Nachrichten.
Während der Arbeit an der Zeitung sollten mindestens zweimal aktuelle Meldungen eintreffen. So werden die Teilnehmenden vor die Wahl gestellt, ihr fertiges bzw. bereits weit fortgeschrittenes Layout aufzugeben oder auf eine wichtige Nachricht zu verzichten. Achten Sie darauf, den Druck des „Redaktionsschlusses“ aufrechtzuerhalten, indem Sie regelmäßig die verbleibende Zeit ansagen, und machen Sie deutlich, dass es keine Extrazeit gibt.
30 Minuten
2) Für die Auswertung des Planspiels werden nun die Punkte zusammengezählt. Die Gesamtpunktzahl ergibt sich aus dem Nachrichtenwert mal dem Modifikator für die Platzierung mal dem Modifikator für das Profil. Der Modifikator für das Profil ist nur Ihnen bekannt (sehen Sie dazu die Liste der vorgefertigten Meldungen und die Regelübersicht im Anhang).
5-10 Minuten
3) In einer Abschlussdiskussion sollten dann wichtige Punkte in der Gesamtgruppe diskutiert werden.
- Was hat gut funktioniert, was nicht?
- Wo gab es Schwierigkeiten?
- Was waren Vor- bzw. Nachteile der einzelnen Gruppen bezüglich der Ausrichtung der jeweiligen Zeitung?
- Welche Probleme haben echte Zeitungsredaktionen/Medien auch?
- Welche Gründe kann es dafür geben, dass sich manche Meldungen immer in den Medien finden?
- Welche Gründe kann es dafür geben, dass manche Meldungen nicht/sehr selten in den Medien erscheinen?
- Wann ist eine Meldung „wertvoll“ für eine Zeitung/ein Medium?
- Welche Zeitungen würden sich besser verkaufen/an welche Personen verkaufen?
- Welche Zeitung (von den selbst erstellten) würden die Teilnehmer kaufen?
- Welche kaufen/abonnieren sie bereits?
- Wenn die Teilnehmenden entscheiden könnten, was in einer Zeitung stehen soll, was wäre das?
20 Minuten
Alternative:
Alternativ kann man auch die Position des „Chefredakteurs“ weglassen und den Nachrichten Punkte in den Kategorien Tragweite (sind viele oder nur wenige Menschen betroffen?), Nähe (geographische oder kulturelle Nähe der Leser zu den Betroffenen) und Qualität der Berichterstattung (reißerisch, subjektiv oder objektiv, komplex) zuweisen. Spielziel wäre es dann, die meisten Punkte in einer Kategorie zu bekommen. Grundsätzlich kann man die Punkte völlig offen auf den Nachrichten angeben oder auch keinerlei Informationen über die Punktzahl der einzelnen Meldung geben.