„Soll das bleiben – Muss das weg?“

Umgang mit judenfeindlicher Symbolik an christlichen Kirchen

Fachliche Einführung und Entscheidungshilfe

Der Umgang mit alten, judenfeindlichen Darstellungen an christlichen Kirchen wird in der Wissenschaft und Gesellschaft kontrovers diskutiert – wenngleich gerichtliche Entscheidungen zum Verbleib solcher Darstellungen, wie beim antisemitischen „Judensau“-Relief an der Wittenberger Stadtkirche, schon gefällt wurden. Die sogenannte „Judensau“ war im Mittelalter als antisemitische Schmähkarikatur weitverbreitet. Aufgrund des damals vorherrschenden Analphabetismus bemühte man sich, eine leicht zu entschlüsselnde Bildsprache zu verwenden. Durch diese Form und ihre Tradierung konnten die judenfeindlichen Intentionen der figürlichen Darstellungen von jeder Person erkannt werden. Die bildliche Diffamierung greift konstruierte Merkmale auf und stellt Juden in Abgrenzung zum Christentum als Fremde, Andere und das Böse schlechthin dar. In den christlichen „Judensaudarstellungen“ werden Juden demnach entmenschlicht und dämonisiert.

Antijudaismus bezeichnet eine christlich-religiös geprägte Judenfeindschaft. Grundlage hierfür waren die Abgrenzungsbestrebungen der christlichen Kirchen gegenüber dem Judentum. Ein fester Bestandteil dieser religiös begründeten Ausgrenzungspraxis war dabei der Vorwurf des Gottesmordes, aus dem sich später Ritualmordlegenden und der Vorwurf der Hostienschändung ableiteten. Dabei kam es zu einer dualistischen Einordnung des Judentums als abgrundtief böse, demgegenüber wurde das Christentum durchweg positiv besetzt.

Auch beim heute virulenten Antisemitismus sind diese klassischen Stereotype der Judenfeindschaft erkennbar, was die lange Tradierung als uraltes, abgespeichertes Muster des Judenhasses im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft zeigt. Rückgriffe auf das Schimpfwort „Judensau“ finden sich daher nicht nur in der Zeit des Nationalsozialismus, sondern auch heute zum Beispiel als Beleidigung in Fußballstadien und auf Schulhöfen.
Folglich stellt sich die Frage:

  • Wie sollte mit antijudaistischer Symbolik in und an Kirchen heutzutage umgegangen werden?

Ziele:

  • Die Teilnehmenden setzen sich mit kontroversen gesellschaftlichen Themen in Bezug auf den Umgang mit judenfeindlichen Darstellungen auseinander und bilden sich dabei eine eigene Meinung und artikulieren diese.
  • Die Teilnehmenden sind befähigt, antisemitische Inhalte in christlichen Darstellungen zu erkennen und einzuordnen.
  • Die Teilnehmenden verstehen die Problematik judenfeindlicher Darstellungen für die Gegenwart und erkennen die diffamierende Herabsetzung für Betroffene.

Kurzablauf:

AblaufMethodeMaterialZeitumfang
Bildbeschreibung, Bildanalyse und AuswertungKleingruppenarbeit oder im Plenum (optional: Recherche im Internet)
Erläuterung und Rückfragen
Arbeitsblatt10 Minuten
DiskussionGruppenarbeitArbeitsblatt, Stifte20 Minuten
Ergebnissicherung
Diskussion
Vorstellung der Ergebnisse
Besprechung und Auswertung
15 Minuten

Ablauf:

1) Zu Beginn stellen Sie den Teilnehmenden die erste Arbeitsaufgabe vor. Für diese Bildanalyse kann das Arbeitsblatt genutzt werden. Welche zusätzlichen Informationen Sie den Teilnehmenden geben, richtet sich nach dem Kenntnisstand der Zielgruppe. Gegebenenfalls können Sie die Teilnehmenden auch kurz im Internet recherchieren lassen.
Die herabwürdigende, antijüdische Bedeutung der Skulptur sollte bei der Bildanalyse klar herausgearbeitet oder gegebenenfalls durch den Teamenden ergänzt werden (siehe dazu auch Zusatzinformationen und Lösungsansätze).

"Judensau"-Relief an der Wittenberger Stadtkirche, Bildnachweis: Posi66, CCBY-SA, Wikipedia commons
„Judensau“-Relief an der Wittenberger Stadtkirche (entstanden 1280) (Bildnachweis: Posi66, CCBY-SA, Wikipedia commons)

10 Minuten

2) Mithilfe des Zitats von Andreas Mertin (siehe unten) sollen sich die Teilnehmenden nun in Gruppenarbeit zum Umgang mit judenfeindlicher Symbolik wie der „Judensau“ in der Gegenwart positionieren. Die einzelnen Gruppen sollten während der Gruppenarbeit betreut werden.

Folgende Denkanstöße und Hinweise können dabei hilfreich sein (siehe auch Zusatzinformationen und Lösungsansätze):

  • Verletzung der Menschenwürde, Beleidigung im öffentlichen Raum nach StGB,
  • Erniedrigung, Verhöhnung, Beschimpfung, fortwährende Beleidigung aller Juden (Blick auf die Betroffenenperspektive)
  • eventuell Instrumentalisierung der judenfeindlichen christlichen Symbolik durch extremistische Gruppen
  • Aspekte des Denkmalschutzes (Skulptur als Zeitzeugnis)
  • Aspekte der Gedenk- und Aufarbeitungsgeschichte

Mertin, Andreas: Der ganz normale Antijudaismus? Überlegungen zur Ethik der Kunst (2009)
„Das Motiv der so genannten Judensau mag innerhalb der christlichen Kirchen heute keinerlei Bedeutung mehr haben, aber auf deutschen Fußballplätzen kann man es durchaus als verbalen Angriff noch hören. Muss man dem Vorschub leisten? Es ist merkwürdig, dass in Deutschland in den Kirchen die Symbolik des Nationalsozialismus nach 1945 aus den Kirchen entfernt wurde, nicht aber die den Antisemitismus der Nazis ermöglichenden und befördernden antijudaistischen und antisemitischen Bilder. Das gibt dann doch zu denken.“
Vollständiger Text abrufbar unter: http://www.theomag.de/59/am287.htm
(letzter Zugriff: 25.03.2020)

20 Minuten

3) Ergebnissicherung und Abschlussdiskussion: Nach der Vorstellung der Gruppenergebnisse sollen die Positionierungen der jeweiligen Gruppen diskutiert werden. Bei der Abschlussdiskussion sollte vor allem geklärt werden:

  • Warum ist die Präsenz von antijudaistischen Objekten bei öffentlichen Kulturgütern oder religiösen Institutionen so problematisch?

15 Minuten

Literatur und weiterführende Links:

Zur judenfeindlichen Symbolik der „Judensau“

Allgemein zum Antijudaismus

  • Benz, Wolfgang: Bilder vom Juden: Studien zum alltäglichen Antisemitismus. – München: Beck, 2001 (Becksche Reihe ; 1449)
  • Die Juden in der Karrikatur: ein Beitrag zur Kulturgeschichte / Hrsg.: Eduard Fuchs. – Berlin: Klaus Guhl, 1985
  • Der ewige Judenhaß: christlicher Antijudaismus, deutschnationale Judenfeindschaft, rassistischer Antisemitismus / Hrsg.: Christina von Braun (u.a.). – Berlin: Philo Verlag, 2000
  • Heil, Johannes: Antijudaismus und Antisemitismus: Begriffe als Bedeutungsträger. – In: Jahrbuch für Antisemitismusforschung 6 / Hrsg.: Wolfgang Benz. – Frankfurt am Main: Metropol Verlag, 1997. – S. 92 – 114
  • Antijudaismus: christliche Erblast / Hrsg.: Walter Dietrich (u.a.). – Stuttgart: Kohlhammer, 1999