Start up – Ein Spiel zum Kapitalismus

„Kapitalismus ist Egoismus zum System erhoben“

Gerhard Dunkl

Fachliche Einführung

Eines der verbreitetsten antisemitischen Bilder ist das des „reichen, gierigen, übermächtigen Juden“, der im Gegensatz zu „den anderen“ die undurchsichtige wirtschaftliche Welt nicht nur durchschaut, sondern sie auch beherrscht und steuert. Kritik an Kapitalismus und Globalisierung ist eine oft unterschätzte Dimension des Antisemitismus. Dementsprechend ist die pädagogische Behandlung der Zusammenhänge von Ökonomie und Antisemitismus eine anspruchsvolle Aufgabe.

Die komplexen und globalen Verbindungen und Zusammenhänge in unserer Gesellschaft, in Politik und Wirtschaft zu durchschauen, ist eine Herausforderung, die für den Einzelnen oft nicht in Gänze zu bewältigen ist. Noch weniger gelingt es in Situationen der Angst vor Kontrollverlust, die notwendige Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Strukturen unserer Gesellschaft und des Kapitalismus zu führen, die auf der einen Seite notwendig für das eigene Auskommen sind, aber auf der anderen Seite eine Zumutung darstellen. Oft wird stattdessen auf Konstrukte und Bilder zurückgegriffen, die einen Schutzraum für das Eigene bilden, andererseits jedoch das Fremde als die Ursache der Bedrohung identifizieren und es als Projektionsfläche für alles Negative und Beängstigende anbieten. Diese Bilder und Vorstellungen werden vom Nationalismus, nationalen Populismus, der autoritären Bewegung und dem Antisemitismus geliefert.1

Doch auch jenseits der Rechten finden sich diese Deutungsmuster wieder. Immer wieder findet man in Diskursen und Medien Muster einer verkürzten oder regressiven Kapitalismuskritik. Der Kapitalismus wird in seiner Totalität dabei nicht wahrgenommen. Vielmehr wird zwischen einem „guten“ und einem „schlechten“ Kapitalismus unterschieden. Die Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen wird personalisiert (zum Beispiel „Heuschrecken“). Der Kapitalismus wird nicht als gesellschaftliches Verhältnis mit abstrakten Zwängen verstanden, sondern es werden persönliche Verantwortliche für Armut, Ungerechtigkeit und Ausbeutung gesucht. Die Verbindungen zum Antisemitismus sind dabei stark. „Die Juden“ werden dann schnell mit der „bösen Seite“ des Kapitalismus identifiziert.

Eine antisemitismuskritische Bildungsarbeit muss sowohl die personalisierte Kapitalismuskritik als auch die Gegenüberstellung von „gutem“ und „bösem“ Kapitalismus aufgreifen und dekonstruieren. Bessere Kenntnisse und ein Verständnis der Funktionsweisen der kapitalistischen Wirtschaft können dazu beitragen, antisemitischen Weltdeutungen entgegenzuwirken. Das Modul liefert dazu einen Beitrag, indem es spielerisch die Zwänge wirtschaftlichen Handelns im Kapitalismus darstellt.

Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass keinesfalls sämtliche Kapitalismuskritik Anknüpfungspunkte zum Antisemitismus aufweist. Ein kritischer Umgang mit bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und eine Diskussion darüber sollten Teil einer demokratischen Gesellschaft sein und sich auch im Bildungsraum wiederfinden.

Ziele:

  • Die Teilnehmenden erlangen Grundkenntnisse über wirtschaftliches Handeln, die Finanzsphäre sowie über die Gesetzmäßigkeiten und Zwänge in der kapitalistischen Ökonomie.
  • Die Teilnehmenden sind sich bewusst, dass alle wirtschaftlichen Akteure und Akteurinnen im Kapitalismus einer Profitorientierung, Konkurrenz und wirtschaftlichen Zwängen unterliegen und dass dies oftmals in Widerspruch zu Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit steht. Sie verstehen bzw. erkennen, dass eine personalisierte Kapitalismuskritik zu kurz greift.

Kurzablauf:

AblaufMethodeMaterialZeitumfang
Einstieg in das SpielThematisches Umreißen, Gruppeneinteilung,
Regeln erklären
– Vorbereitete Karten5–10 Minuten
Durchführung des SpielsSpielCa. 30 Minuten
Auswertung und NachbehandlungRekapitulation
Fragend-entwickelnde Methode
– eventuell Tafel/Whiteboard10–15 Minuten

Ablauf:

1) Nach einem eventuellen thematischen Einstieg (optimal wäre es, wenn wirtschaftliche Zusammenhänge oder empfundene Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit Wirtschaft bereits Thema bei den Teilnehmenden waren) sollten Sie zunächst die Regeln des Spiels erklären (siehe unten) und die Teilnehmenden den Gruppen/Rollen zuteilen. Die Einteilung sollte möglichst freiwillig bzw. unter Beteiligung der Teilnehmenden stattfinden.
Es gibt sieben Rollen, die auch in Gruppenarbeit erfüllt werden können: Gründer/Unternehmer, Arbeitnehmer, Immobilienmakler, Zulieferer, Kunden, Bank und Börse/Aktionäre.

2) Das Spiel wird folgendermaßen durchgeführt. Nachdem die Rollen verteilt sind, liest sich jede Gruppe/Rolle ihre Rollenkarte durch. Auf den Karten stehen die Ziele und weitere Informationen zur Ausgestaltung der Rollen. Lesen Sie sich vor dem Spiel alle Rollenkarten mindestens einmal durch, damit Sie über die Vorgänge beim Spiel informiert sind und bei Bedarf moderierend oder erklärend eingreifen können.

Sie benötigen außerdem noch Marker für die Ressourcen Qualität und Geld. Am besten eignen sich dafür Spielchips. Die Rollen bekommen zu Beginn eine feste Anzahl der beiden Ressourcen, die auf den Rollenkarten vermerkt ist. Es sollten aber genügend Ersatzmarker vorhanden sein.

Die Rollen sollten sich gut im Raum verteilen und gut sichtbar angezeigt sein, zum Beispiel durch Tischkärtchen. Die meisten Rollen können dabei auch an einem Platz bleiben. Lediglich die Gründer/Unternehmer sollen im Raum umhergehen und mit den einzelnen anderen Rollen Verhandlungen führen.

Jede Rolle hat eigene Ziele, die sie während des Spiels erfüllen sollte. Ein erfülltes Ziel kann durch Abhaken gekennzeichnet werden.

Wenn die Gründer/Unternehmer bereit sind, ihr Produkt auf den Markt zu bringen, sagen sie das an und das Spiel endet. Bei Spielende werden eventuell noch existierende Ansprüche abgehandelt (siehe Karten Bank, Immobilienmakler, Kunden und Börse). Das Spiel endet außerdem nach einer vorher vereinbarten Zeit (wir empfehlen 30 Minuten).

Wenn alle Ansprüche abgehandelt sind, wird für jede Rolle überprüft, ob sie ihre Ziele erfüllt hat. Am interessantesten ist natürlich der Erfolg der Gründer/Unternehmer. Für diese Rolle gibt es drei mögliche Ausgänge:

  • Das Geld geht ihnen aus, bevor sie alle Ziele erreicht haben. Das Unternehmen scheitert, da sie vorher bankrott sind.
  • Alle Ziele werden erreicht, aber sie haben weniger als drei Geldpunkte (die Höhe des Startkapitals). Die Gründung des Unternehmens gelingt, aber es wird kein Gewinn erwirtschaftet.
  • Alle Ziele werden erreicht und die Geldpunkte sind größer als drei. Die Gründung des Unternehmens gelingt und es wird Gewinn erwirtschaftet.

3) Zum Abschluss sollten Sie – neben der Auswertung des Spiels – zur Rekapitulation die Möglichkeit zum Gespräch geben, zum Beispiel in Form einer Diskussion. Hier können Sie offene Fragen und Begriffe klären. Vor allem aber sollten sie mit den Teilnehmenden diskutieren, wie es ihnen beim Spielen gegangen ist und wo sie Ähnlichkeiten zur „echten“ Wirtschaft sehen. So können Sie zum Beispiel mit Rückgriff auf das Spiel die Frage stellen, wer die Schuld an wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten hat oder wer sich „gut“ oder „schlecht“ verhält.

Anhang
Rollenkarten

1 Vgl. Adorno, Theodor W.: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 2019.